Der Philosoph Jörg Splett:
ein dialogisches Porträt

Hanns-Gregor Nissing im Gespräch mit Jörg Splett in: Nissing: Der Mensch als Weg zu Gott. Das Projekt Anthropo-Theologie bei Jörg Splett, München 2007

 

III. Werk (seit 1971)

Seit 1971 sind Sie als Professor für Philosophische Anthropologie, Religionsphilosophie sowie Philosophiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen der Jesuiten in Frankfurt/ M. sowie als Gastprofessor an der Hochschule für Philosophie SJ in München tätig. Darüber hinaus sind Sie Redaktionsmitglied der Zeitschriften Theologie und Philosophie (seit 1980), die von den Jesuiten herausgegeben wird, und Il Nuovo Areopago (1982-2002). Nicht zuletzt über 400 Rezensionen sind das Produkt dieser Tätigkeit. 25 Bücher und etwa 700 wissenschaftliche Beiträge umfaßt Ihre Publikationsliste. Schließlich sind Sie seit Jahrzehnten in der Erwachsenen-, Lehrer- und Priesterbildung tätig. Welche Bedeutungen haben diese verschiedenen Tätigkeiten für Sie? Wie würden Sie sie in ihrer Relevanz gewichten?

Das direkte Reden hat in jedem Falle die Priorität – ob nun mit Studenten, Schülern oder „Senioren“. Besonders wichtig ist mir die Arbeit mit Priestern, die mir oft als die eigentlichen „Opfer“ der Umbrüche erschienen sind. Das habe ich mir zum Programm gemacht. So habe ich auch das Anliegen P. Rahners verstanden: sich Anfragen zur Antwort stellen.
Darin sehe ich etwa auch den Unterschied von Rahners Werk zu dem Hans Urs von Balthasars. Balthasar hatte sein Projekt der Trilogie mit der theologischen Ästhetik Herrlichkeit, der Theodramatik und der Theologik, und er durfte es vor seinem Tod zu Ende führen. (Wohlgemerkt vergleiche ich die beiden Riesen, nicht etwa mich mit einem von ihnen.)
Für mich rangierten stets vor etwaigen Werk-Projekten die Studenten, zu deren Lehre mich der Orden gerufen und der Limburger Bischof als Beamten eingestellt hat. So habe ich es stets für einen wichtigen Teil meiner Arbeit als Hochschullehrer angesehen, nicht nur Vorlesungen und Seminare zu halten, sondern die Studierenden auch zu begleiten und mich um sie zu kümmern, zum Teil bis ins Seelsorgliche hinein. In Weitergabe dessen, was ich von anderen, besonders Walter Kern, habe erfahren dürfen.

Was muß jemand mitbringen, der bei Ihnen Philosophie studieren will? Was kann er erwarten und was erwarten Sie von ihm?

Ich möchte die Studenten zum Ringen um die Wahrheit und zum Einsatz für sie bringen. Der Einzelne soll hier seine eigene Aufgabe (warum nicht: Sendung?) entdecken. Daher vergebe ich so wenig wie Max Müller Themen. Ich prüfe nur die Machbarkeit eines Projekts und die Frage, wie weit ich dabei eine Hilfe sein kann. – Wichtig war mir auch stets, ob er oder sie mit einem Thema jahrelang leben könne. So habe ich niemanden bloß gegen einen Autor oder eine Meinung schreiben lassen. Denn das scheint mir charakterlich nicht gut zu tun. Es sind prägende Lebensjahre eines jungen Menschen, für die wir Lehrer hier Verantwortung übernehmen.
Schließlich ist eine Doktorarbeit kein Meister-, sondern ein Gesellenstück. So muß vor allem klar sein, wo die Grenzen liegen. (Aus meiner Studienzeit habe ich hier abschreckende Beispiele im Gedächtnis.) Denn die Gefahr ist ja, daß man sich zuviel vornimmt. So sehr vielleicht aus einer solchen Arbeit ein Lebensthema werden könnte. – Selbst in einer Magisterarbeit sehe ich keine bloße Qualifikation, sondern die Gelegenheit, ein Thema in persönlicher Weise zu behandeln – mit der schönen Freiheit, keinen „wissenschaftlichen Fortschritt“ zu erbringen (was immer das im übrigen heiße), sondern etwas für sich zu erschließen und ein Stück weit durchzuklären.
... so daß Sie von daher auch kein Interesse daran haben, eine eigene Schule zu begründen, die etwa das Projekt „Anthropo-Theologie“ weiterträgt?

Von „Schule“ hat oft Max Müller gesprochen, und ich fand das immer mühsam. Natürlich hat jeder eine gewisse Physiognomie, eine bestimmte Art und Weise, die Dinge anzugehen – und der eine übernimmt so etwas stärker als ein anderer. – Ich verstehe auch Lehrer wie Reinhard Lauth, für den das Werk Fichtes die Wahrheit gewesen ist und der alles daran gesetzt hat, diese Wahr­heit auch gerade in den von ihm betreuten Arbeiten zu verbreiten. Mir lag immer daran, den Leuten Freiheit zu lassen.
Natürlich habe auch ich ein paar Gedanken, die ich für hilfreich und wichtig halte und weitergeben möchte: das Dialogische, das „Mit“ im Verhältnis von Gott und Mensch, das Phänomenologische, den Primat der Ethik – ein Punkt, der stärker in den letzten Jahren in den Vordergrund getreten ist, seit ich 1978 durch einen belgischen Magistranten auf Emanuel Lévinas gestoßen worden bin.
In St. Georgen hatte ich ja die Hauptfächer Philosophische Anthropologie und Philosophische Gotteslehre zu vertreten (in der Philosophiegeschichte die Zeit von Hegel bis heute). Aus diesem Zueinander ergab sich für mich das Programm, das ich in meiner Antrittsvorlesung vorgestellt und dort zum ersten Mal „Anthropo-Theologie“ genannt habe – aus der Überzeugung, daß der unmittelbarste Weg zu Gott für den Menschen tatsächlich der Mensch ist und nicht der Kosmos. Wie umgekehrt der Mensch sich erst im Lichte Gottes recht versteht. Bei diesem Begriff habe ich oft mit dem Verdacht zu tun gehabt, hier werde philosophische und dogmatische Theologie vermischt – ein Verdacht, der christliches Philosophieren überhaupt trifft. Gemeint sind jedoch zunächst die philosophischen Disziplinen.
Es ging auch die Rede, man müsse „fromm“ sein, um bei mir zu arbeiten. Um so dankbarer bin ich für den Abweis eines solchen „On dit“ durch Leute, die es aus eigenem Erleben besser wissen.

Zu Ihrer Tätigkeit als Rezensent, die Herr Professor Hoye in seinem Beitrag in besonderer Weise hervorgehoben hat: Wie verstehen Sie diesen Bereich Ihres Wirkens – als Anreicherung des eigenen Horizontes, als Dienst, den man der Wissenschaft schuldet ...?

Dienst an der Wissenschaft ist es wohl, offen gestanden, bei mir nicht so sehr. Ein Stück weit sehe ich es als Pflichterfüllung, denn die Zeitschrift Theologie und Philosophie ist ein anerkanntes Organ, das sich einen Großteil seines Renommees durch seine Rezensionen erworben hat, und ein „opus commune“ der beiden Hochschulen.
Darüber hinaus halte ich es für wichtig, jungen Kollegen eine Starthilfe zu geben, indem man ihre Arbeiten nicht übergeht – in der Überfülle des Publizierten. Überhaupt aber verstehe ich Rezensionen als Antworten auf in die Welt gesandte Briefe. Ich möchte den Verfasser darin respektieren, daß ich ihn beim Wort nehme und mit ihm seine Thesen diskutiere. Ich freue mich, mitunter von Seiten Rezensierter zu hören, sie seien erstaunt, ihre Sache auf knappem Raum so auf den Punkt gebracht zu sehen. Anderseits lebe ich damit, daß im um sich greifenden „Laissez faire“ der Gefälligkeitsrezensionen und der Zitationskartelle mancher meine Unverblümtheit als polemisch kritisiert. – Vielleicht kann man das in einem weiteren Sinne doch als Beitrag zur Wissenschaft bezeichnen? (Auch mein „ceterum censeo“ zum mir unverständlichen falschen Dativ – für alle möglichen Fälle – nach „als“ und überhaupt in Appositionen?)

Wie es zu Ihrem Engagement in der Erwachsenenbildung kam, haben Sie schon berichtet. Was sind Ihre Intentionen bei dieser Arbeit, die ja für Sie auch mit vielerlei Reisen und Unterwegssein verbunden ist?

Nun, einerseits glaube ich, daß ich in diesem Bereich eine gewisse Begabung habe, die Dinge zu vermitteln. Andererseits bestätigt sich das auch objektiv, so daß ich immer wieder Einladungen ausschlagen muß. Persönlich halte ich dieses Engagement auch für wichtiger als inner-wissenschaftliche Arbeit. Ich schreibe eigentlich nicht für die Kollegen. Auch Kontroversen mit ihnen führe ich im Blick auf die Menschen, für die wir diese Arbeit tun. Das ist eine „Typen“-Frage. Auch unter Künstlern und Literaten gibt es solche, die vor allem auf ihresgleichen wirken, andere mehr nach draußen.

Abgesehen von den eigentlich wissenschaftlichen Arbeiten zu Beginn, Ihrer Dissertation, Ihrer Habilitation und vielleicht noch den beiden programmatischen Arbeiten Der Mensch in seiner Freiheit (1967) und Gotteserfahrung im Denken (1973) sind die meisten Ihrer Bücher ja auch für ein breiteres Publikum bestimmt ...

Obwohl ich auch da Klagen über ihre Schwierigkeit höre. Dabei sind die Bücher eigentlich alle aus Antworten auf konkrete Anfragen hervorgegangen. Die Leiterin des Knecht-Verlages meldete sich von Zeit zu Zeit bei mir mit der Frage, ob ich nicht wieder einmal etwas für sie habe. Ich ließ dann – im Licht des aktuellen Engagements – Revue passieren, was sich aus den Ausarbeitungen der letzten Zeit an Niederschlag in Zeitschriften ergeben hatte, und immer wieder zeigte sich alsbald ein „roter Faden“, eine übergreifende Thematik oder Perspektive, unter der sich die Dinge leicht zusammenfügen ließen.
Ich gebe zu, gern und mit Freude zu schreiben, und daß ich mich freue, ein eigenes Buch in Händen zu halten, ein kleines Ganzes, das für sich steht und einen selbständigen Gesprächsbeitrag darstellt und ein substantielles Angebot für Interessierte. (P. Rahner sprach davon, daß Beiträge in Zeitschriften eher begraben seien. Das kommt mir heute zwar nicht mehr so vor, wo sich schon nach drei Jahren ein für die Bibliothek übersehenes Buch höchstens antiquarisch auftreiben läßt, während die Zeitschriftenbände treulich in den Magazin-Regalen zur Verfügung stehen. Gleichwohl...)

Wenn Sie in einer solchen Weise Ihre Arbeit nachträglich systematisieren, so ergibt sich auch für den Autor selbst ein Gesamtblick auf sein Werk. Welche Entwicklungen erkennen Sie selbst in Ihrem Denken und Schreiben? Wo setzen Sie heute andere Gewichte als vor 25 Jahren? Was waren konkrete Anreicherungen oder Verschiebungen? Was ist hinzugekommen? Was akzentuieren Sie heute anders als zum Beispiel im Jahr 1987?

Entwicklungen gibt es gewiß. Ich weiß nicht, in welchem Ausmaß. Ich würde gern eine Entwicklung sehen fort von einer unnötigen sprachlichen Kompliziertheit mit Klammern usw. (einer „Rahnerei“), wie etwa in Konturen der Freiheit (1974), hin zu einer größeren Klarheit und Entschiedenheit, die auch deutlicher auf die zentralen Fragen gerichtet ist. Auch hoffe ich, daß sich die Themen vertiefen: daß im Kreisen um den Gegenstand derselbe Ort sozusagen eine Spiral-Windung tiefer – oder höher erreicht worden sei, mit zugleich gewachsener Klarheit.
Inhaltlich haben sich schon dadurch Veränderungen ergeben, daß neue Bereiche und Fragestellungen dazugekommen sind, etwa medizinische Themen, Fragen angewandter Ethik, durch die Beiratsarbeit für die Zeitschrift für medizinische Ethik. Es gab eine Zeit intensiver Auseinandersetzung mit Eugen Drewermann, besonders in der Arbeit mit Lehrern. Überhaupt die Fragen „Erziehung und Menschenbild“, „Die Religion und die anderen Wissenschaften“ usw. – Themen, die dann etwa eingegangen sind in Lernziel Menschlichkeit (1976) oder Leben als Mitsein (1990).
Denkerisch liegt wohl die Hauptverschiebung in der Wendung vom Dynamismus der Maréchal-Brugger-Rahner-Schule zum Getroffen-Werden und Sich-ergreifen-Lassen im Sinne von Lévinas. Ganz neu war das nicht: Reinhard Lauth verdanke ich die Ergänzung der „Evidenz“ durch die „Sazienz“ (vom mittellateinischen „sacire“ = Ergreifen, noch in „saisir“ erhalten): dem Aktiv wie Passiv voranzustellen ist das Medium des Sich-ergreifen-Lassens. Doch eine Umakzentuierung war es doch. Ich war so hingerissen, als ich diesen Autor – Lévinas – kennenlernte. Ich meinte, so etwas würde ich schon denken. Doch Lévinas dachte es in einer Deutlichkeit und Schärfe, die ich unglaublich fand. Man kann den Grundansatz schon in der ersten Fassung meiner Gotteserfahrung im Denken (zuerst 1973, später mehrfach überarbeitet, in 5. Auflage zuletzt 2005) erkennen, doch ist er dort blasser. Das ganze vierte Kapitel baut formal noch auf dem Dynamismus auf und zeichnet erst nachträglich ein, was später eigentlich das Bestimmende wurde. Vor die Intentionalität rückt im transzendentalen Gottesbeweis nun das Angesprochensein: Gott-ergriffen (2001).

Als ihren Lieblingsautor haben Sie einmal den englischen Literaturprofessor und christlichen Schriftsteller C.S. Lewis bezeichnet. Vieles in der Art und Weise Ihres eigenen Schreibens und Argumentierens erinnert an ihn. Wann haben Sie ihn für sich entdeckt?

Das kann ich nicht sagen… den Erscheinungsdaten der deutschen Übertragungen seiner Werke nach dürfte es kaum schon auf der Schule gewesen sein, sondern erst im Studium. (In den Briefen an meine Eltern taucht sein Name – allerdings bereits mit dringlicher Empfehlung – erstmals 1962 auf.). Ihr Vergleich ist liebenswürdig, doch zu schmeichelhaft. Aber sollte ich inzwischen doch ein paar Schritte auf dem Weg zur „Schlichtheit seiner Sprache“ (J. Pieper) getan haben, wäre das schön. Einzigartig seine Verbindung von Klarheit, Entschiedenheit, Mutterwitz und Bildphantasie, Demut und Humor, von einer Frische, die mich an Augustins „Morgenerkenntnis“ denken läßt.

Wer die Vorworte Ihrer Bücher liest, gewinnt den Eindruck, daß sich Ihre Positionen auch und gerade in Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist geschärft haben, der von Ihnen immer wieder eine „ideologiekritische Durchleuchtung“ erfährt. Im Durchgang durch Ihre Schriften erhält man so immer auch einen Eindruck davon, was gerade zu einer bestimmten Zeit im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben „en vogue“ war: die „Flucht in Droge und Rausch“, die „Angst“ und „Wissenschaftsgläubigkeit“ in den 70er Jahren (vgl. Lernziel Menschlichkeit, 1976), „Informationssucht“, „Betroffenheit“ und eine „Überschwemmung durch Angst, Wut und Begierde“ in den 80ern (vgl. Freiheits-Erfahrung, 1986), eine „Ästhetisierung von Ethik und Religion“ mitsamt ihrer psychologischen Aufladung zu Beginn der 90er Jahre (vgl. Spiel-Ernst, 1993) oder eine „neue Konjunktur negativer Theologie“(vgl. Gottes-Anruf, 1998) und eine „neue postmoderne Religionsfreundlichkeit“ (vgl. Gott-ergriffen, 2001).

Das ist auch so. Es ergab sich dadurch, daß zumal bei den Veranstaltungen in den Akademien die Positionen kontrovers besetzt waren, und ich dabei eine Position zu vertreten hatte – etwa gegen Leute, die sagten: „Die Religion hört auf“ oder „Es darf keine Autorität geben“ oder „Es gibt keine Wahrheit“. In der Auseinandersetzung erarbeitet sich eine Position in einer solchen Form, und folglich gehört Kritik in einer solchen Weise auch mit hinein. Die Anfragen spiegeln sicher wider, was in Zeiten anstand und worüber ich dann auch häufiger geredet habe.

Wo würden Sie sich selbst ansiedeln im akademischen, intellektuellen und kirchlichen Leben der Gegenwart? Wie würden Sie sich und Ihre Positionen charakterisieren?

(lacht) Also: sicher, wie schon gesagt, eher konservativ (was ja nicht „restaurativ“ meint; abgesehen von der Ernüchterung bzgl. Fortschritt [wohin?] und Revolution). Aber weder kirchen- noch hochschulpolitisch sonderlich engagiert. Hier kommt ins Spiel, was ich eben meine „privatistische Schlagseite“ genannt habe. Ich versuche in einer Situation zu antworten, so gut ich kann, und beziehe Stellung, wenn ich meine, gegen oder für etwas reden zu sollen, ohne „politische“ Rücksicht. Das habe ich gewiß von meinem Vater, der mit seinem Gewissensmut nach dem Vorbild des Thomas Morus und seiner spitzen Zunge sich nicht überall beliebt gemacht hat.
Dazu war ich glücklicherweise nie in der Situation, um eine Arbeitsstelle kämpfen oder bedenken zu müssen, wem ich nach dem Munde rede. Ich wundere mich mitunter über die Zeit und Energie, die Leute dafür aufwenden, sich gesellschaftlich oder politisch durchzusetzen, in Gremien zu kommen, Preise zu erhalten usw. –, im Staat wie in der Kirche. Ich fand immer, daß der Aufwand für solche Positionierungen zu Lasten des wirklich Gebotenen gehe: der zu gebenden Antwort. Offenbar ist so etwas nötig, wenn man konkrete Ziele hat und bestimmte Wirkungen erzielen will. Solche Ziele hatte ich jedoch nicht.
Was wird von Ihnen und Ihrem Werk bleiben – oder was soll bleiben?

Ich will meinen Dienst getan haben. Tatsächlich gilt ja heute schon, daß ein „Prof“ Lieblingseinsichten und -ideen hat, die er natürlich weitergeben möchte; daß die aber bei den Studierenden unter der Fülle dessen, was auf sie herabregnet, im besten Fall unter B III a 14 gespeichert werden. Jeden Lehrer beglückt es, wenn er bei Einzelnen auf Geistesverwandtschaft und größeren Einklang trifft.
Ich habe tatsächlich nicht nur das Glück, Lehrer gehabt zu haben, denen ich dankbar sein darf, sondern auch solche Schüler und überhaupt Menschen allen Alters, deren Vertrauen mich zuweilen fast ängstigt. Ich fand schon seit je Lk 17,10 (nicht, wie zu meiner Verwunderung dieser oder jener, belastend, sondern) zutiefst befreiend: „Wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen wurde“ – wer hätte das übrigens? – „sollt ihr sagen, wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“.
Wie schön, sich kein „monumentum aere perennius“ bauen zu müssen! Was sich hier verliert, ist andern Ortes bewahrt. Ich muß nicht als Selbstversorger leben: „vor aller Leistung und trotz aller Schuld“, wie ich so gern Klaus Kliesch zitiere, angenommen, reuelos und unwiderruflich. Ich und das Meine – es ist bei Ihm aufgehoben.
Dabei ist gerade dies „vor“ und „trotz“ wichtig. Im Blick auf Beruf wie Ehe und Familie. Mir käme es schlicht komisch vor, hier anderen oder mir selber etwas vorzumachen.
Ich bin froh und dankbar dafür, von der Sisyphus-Last der „Selbstherstellung“ und -verwirklichung befreit zu sein, spätestens seit jenem Scheitern. (Menschlich wird man erst nach seinem Waterloo, habe ich meinen Hörern wiederholt gesagt.) Ich darf woanders daheim sein – und hier in meiner Ehe.

... womit sich der Bogen zum Beginn unseres Gesprächs schließt: zu Ihren Berichten von der Heimatlosigkeit und dem Umherziehen während des Krieges...

Die Zeitschrift 30 Giorni hat vor vierundzwanzig Jahren einmal ein Interview mit mir publiziert unter dem Titel „Filosofo senza patria“. Das trifft sicher etwas Wesentliches. Doch sind wir Christen nicht allesamt unterwegs? Auch einander nicht gehörend, sondern – wie Bergengruen so schön sagt – einander „zu Lehen gegeben“. Doch gerade so zueinander gehörend und einander zugetan.

Der Kriegs- und Fluchterfahrung entstammt durchaus eine gewisse Verunsicherung, das Empfinden ständiger Gefährdung. Tiefer greift das Bewußtsein innerlicher Selbstgefährdetheit. „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes...“ (Röm 8,39) . – Außer wir uns selbst! Gleich­wohl ist Sein Herz größer (1 Joh 3,20). Er trägt uns auch in unserer Panik.

Zum Schluß: Was sind Ihre Wünsche und Perspektiven für die kommende Zeit?

Ich möchte gern noch ein wenig so weitermachen wie bisher. Denn ich merke (und bekomme das auch gesagt), wie ich immer mehr aus dem Durchlebten und Durchgestandenen schöpfen und anbieten kann – ohne anderseits mich neuen Anstößen zu verschließen (ob in Diskussionen mit Schülern und Studenten, ob in der Rezensionsarbeit oder dem Abenteuer neuer Romane und Filme). Vor allem scheint mir, bei allen Grenzen, daß ich Fortschritte dabei mache, zu hören, wonach die Menschen in ihren Anfragen eigentlich fragen, und darauf zu antworten. Solange mir das geschenkt wird... Und daß wir beide – meine Frau und ich – uns noch haben...

Es ist jeden Morgen ein Glück aufzuwachen.

 

 

Das vorstehende werkbioraphische Gespräch ist in gedruckter Form in der Publikation "Der Mensch als Weg zu Gott. Das Projekt Anthropo-Theologie bei Jörg Splett" (Hrsg: HG Nissing, München 2007) enthalten.